Oder: Das (Bermuda-)Dreieck eines zufriedenen Berufslebens
Fragst du dich bei deiner Arbeit auch oft: Warum mache ich das jeden Tag? Was bewirke ich eigentlich? Mache ich die Welt wirklich zu einem besseren Ort?
Bist du vielleicht recht erfolgreich, verdienst viel Geld, aber fühlst dich zunehmend innerlich leer? Merkst du, wie die schönen Dinge, die dir das Geld ermöglicht, immer weniger dazu führen, dass du zufrieden und glücklich bist?
Oder du hast eine Arbeit, die dir viel Sinn gibt, dir immer wieder Freude macht, aber dein Gehalt ist so schlecht, die Arbeitszeiten so unmenschlich, dass du immer wieder an deine körperlichen Grenzen kommst? Dass du an immer mehr Tagen denkst: Wie lange kann ich noch so weitermachen ... und was soll ich denn sonst machen?
Wenn du eine oder mehrere dieser Fragen mit „Ja“ beantwortest, könnte es sein, dass du noch kein Gleichgewicht in dem gefunden hast, was ich das Dreieck beruflicher Zufriedenheit nenne.
Vielleicht herrscht noch nicht genug Klarheit in Bezug auf Balance und Achtsamkeit in wichtigen beruflichen Entscheidungen. Es könnte dir helfen, einen philosophischen Blick auf Sinn, Erfolg und Nachhaltigkeit zu werfen, und genau darum wird es in dieser Folge von „Alltagsphilosophische Ratschläge“ gehen.
Wenn Du keine Lust hast alles zu lesen, findest Du den Essay auch als Podcast:
Bermudadreieck oder was?
Eine sehr wichtige Erkenntnis nach fast 15 Jahren Philosophie, Vorträgen, Workshops und philosophischer Praxis ist für mich Folgendes: Gute Entscheidungen funktionieren nicht wie On/Off-Schalter. Gute Entscheidungen sind fließende Prozesse, deren Ergebnisse weniger wichtig sind als die Prozesse selbst.
In den meisten Fällen geht es also nicht um die Frage: Dieser Job – ja oder nein. Ein hohes Gehalt oder ein niedriges. Viele Abonnent*innen auf meinem Insta-Account oder (so gut wie) keine. Meine Firma ist be******** oder megageil. Tatsächlich geht es viel eher darum, dich in einem gewissen Kontext anzusiedeln. Auf verschiedenen Spektren deine Plätze zu finden. Diese Spektren dann noch zueinander ins Verhältnis zu setzen und das alles nicht nur im Kopf, sondern auch im Bauch und im Herz.
Das ist natürlich alles andere als leicht. Glücklicherweise gibt es immer wieder tolle Modelle, die uns helfen können. Eines dieser Modelle ist das Dreieck aus Angst, Mut und Vertrauen von Fridtjof Schneider, einem systemischen Therapeuten, Autor und meinem Ausbilder. Angelehnt an seine Ideen habe ich in Gesprächen, Selbstachtsamkeit und bei der Arbeit am Begriff [1] herausgefunden, dass es auch ein Dreieck beruflicher Zufriedenheit gibt. Dieses Dreieck kann es dir erleichtern, deinen Weg im beruflichen Kontext zu finden und ihn dann auch zu verfolgen. Wie sieht dieses Wunderdreieck also aus? Schauen wir es uns an:
[1] Eine Bezeichnung für philosophisches Arbeiten, die in der Tradition von G. W. F. Hegel steht.
Du denkst dir: „Na toll ... und jetzt?“? Sehr gut, dann ist dein kritischer Verstand aktiv und aufnahmebereit. Gehen wir also direkt rein. Wichtig ist zunächst: Die drei Ecken (also Sinn, Erfolg, Nachhaltigkeit) sind keine absoluten Punkte, die du erreichen kannst und dann „fertig“ bist.
Stell dir die drei Ecken eher als Magnete vor, die an einer metallenen Kugel ziehen, die mal mehr in die eine Richtung rollt und dann in die andere. Du befindest dich also immer in diesem Spannungsfeld zwischen Sinn, Erfolg und Nachhaltigkeit – ganz egal, was du tust oder ob du dir darüber Gedanken machst.
Aber indem du dir dieses Spannungsfeld bewusst machst, kannst du erkennen, wo du in dem jeweiligen Kontext stehst, woraus du wiederum eine Reihe an Entscheidungshilfen ableiten kannst. Bevor wir das aber an einem Beispiel betrachten, müssen wir uns zunächst über die Begriffe einig werden. Denn „Erfolg“ kann ja zum Beispiel alles Mögliche bedeuten. Für dich ist Erfolg vielleicht, unglaublich viel Geld zu verdienen, für die nächste Person ist es, von sehr vielen Menschen bewundert zu werden, für einen dritten Menschen ist es, von einem kleinen, auserwählten Kreis an Menschen geschätzt zu werden, für eine vierte Person bedeutet es, in einem Bereich Wissen zu erwerben und zu produzieren usw. usf. Was wir also brauchen, sind derartige allgemeine Definitionen von Erfolg, Sinn und Nachhaltigkeit, dass wir mit ihnen arbeiten können. Glücklicherweise sind allgemeine Definitionen das Spezialgebiet der Philosophie.
Der Schöne und das Erfolg (oder so ...)
Schauen wir uns zuerst die linke Ecke des Dreiecks an: den Erfolg. Wie ich oben schon angerissen habe, kann Erfolg für jeden Menschen etwas anderes bedeuten. Ich behelfe mir hier, indem ich eine allgemeine Definition von Erfolg angebe. Erfolg bedeutet hier: Ich bekomme für das, was ich anbiete, den Preis, den ich mir wünsche. Dabei muss klar sein, dass „Preis“ kein Geld sein muss. Wenn ich als Künstler*in meine Werke anbiete und dafür Bewunderung von 100 Menschen haben möchte, dann ist die Bewunderung von 100 Menschen der Preis, den ich mir wünsche. Ergo: Ich bin ein*e erfolgreiche*r Künstler*in, wenn ich für meine Werke von 100 Menschen bewundert werde. Ein*e Heiler*in sieht sich selbst als erfolgreich an, wenn er/sie mindestens einen Menschen heilen kann. Somit ist er/sie erfolgreich, wenn er/sie von einer Person gesagt bekommt: „Du hast mich geheilt.“
Wir sehen also: Was Erfolg ist, ist auf der einen Seite
(a) subjektiv, sprich ich definiere, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ich mich als erfolgreich empfinde,
auf der anderen Seite ist es aber
(b) empirisch überprüfbar, denn die Kriterien müssen in irgendeiner Art und Weise messbar sein.
Ein*e Magier*in, der/die sich als erfolgreich ansieht, weil er/sie einen Zauber gewirkt hat, der vielen Menschen das Leben gerettet hat, ohne dass wir dies überprüfen können, und die Menschen auch wissen, dass sie von diesem Zauber gerettet wurden, würden wir nicht als erfolgreich ansehen – auch dann nicht, wenn er/sie sich selbst als äußerst erfolgreich beschreibt. Erfolg ist etwas, was von den Menschen und Netzwerken (oder Systemen) abhängt, in denen wir agieren. Wir können also sagen, Erfolg ist etwas Öffentliches [2].
Wichtig ist mir übrigens, dass ich nichts darüber aussagen will, welche inhaltlichen Kriterien von Erfolg gut oder schlecht sind. Das ist ein anderes Thema. Mir geht es erst mal nur darum, dass du versuchst, dir Folgendes klarzumachen: Was biete ich in meinem Beruf/meiner Profession an und was ist der Preis, den ich gerne dafür haben würde?
Wenn du das gemacht hast, dann schreib dir das gerne unter den Begriff „Erfolg“ in dem Dreieck auf und geh zum Sinn weiter.
[2] Vgl. hierzu, die Forschungsergebnisse von Albert-László Barábasi in: The Formula. The Universal Laws Of Success.
Die Sache mit dem Sinn
Dass die Arbeit mir Sinn gibt, ist so ziemlich das Top-Kriterium der Millennials. Es ist schon ein Klischee, über welches „die“ Boomer (und zunehmend auch „die“ Xer) die Nase rümpfen. „Die“ Millennials wollen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Aber was ist das eigentlich: „Sinn“?
Nun, genau wie beim Erfolg werden zehn Menschen wahrscheinlich elf Antworten darauf geben, was eine Arbeit für sie sinnhaft sein lässt. Eine Person will Menschen helfen, eine andere die Umwelt schützen, eine dritte will die Demokratie stärken, eine vierte für Minderheiten und deren Inklusion eintreten usw.
Wie beim Erfolg gehe ich ganz philosophisch begrifflich vor und versuche, „Sinn“ so weit inhaltlich zu leeren, dass wir eine allgemeine(re) Definition bekommen. „Sinn“ bedeutet hier also, dass meine Tätigkeit Ausdruck meines wahren Selbst ist [3]. Das lässt sich auch weniger tiefenpsychologisch formulieren: Sinnhaft ist eine Tätigkeit dann, wenn ich durch ihre Ausübung eine Selbstwirksamkeit erlebe – das bedeutet, wenn ich merke, dass mein Tun diejenige Wirkung in der Welt entfaltet, die ich ihm durch meine innerste Haltung verleihen will.
Dabei ist es nicht wichtig, was für eine Tätigkeit das ist. Eine Schreinerin kann ebenso Selbstwirksamkeit erfahren wie ein Influencer. Entscheidend dafür ist nicht so sehr, was ich tue, sondern eben wie ich es tue. Und dieses „wie“ ist nicht äußerlich gemeint, sondern mit welcher inneren Haltung. Die Schreinerin, welche in einer großen Halle eine Platte nach der anderen zuschneidet und damit mehr oder weniger Fließbandarbeit erbringt, die aber gerne ökologische Schiffsmöbel designen wollte, wird wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, eine innere Haltung zu ihrer (äußeren) Tätigkeit zu gewinnen, die Sinnhaftigkeit erzeugt. Der Yoga-Influencer, der täglich Millionen Follower*innen begeistert, aber eigentlich ein Mensch mit dem tiefen Bedürfnis nach zurückgezogener Spiritualität ist, wird sicher keinen „Sinn“ in seiner Tätigkeit finden – obwohl er für uns von außen (1) sehr erfolgreich erscheinen mag und wir denken, (2) dass ihm seine Tätigkeit sicher viel Sinn geben muss.
An dieser Stelle wird auch schon klar, dass „Erfolg“ und „Sinn“ nicht so einfach getrennt voneinander zu denken sind. Denk noch mal an den Abschnitt über Erfolg. Würde der beispielhafte Influencer zurückgezogene Spiritualität als Erfolg definieren, so wäre er nicht sehr erfolgreich, wenn er täglich mehrere Storys, Reels und Beiträge veröffentlichen müsste – auch dann nicht, wenn diese Beiträge das Thema zurückgezogenen Spiritualität als Inhalt hätten.
Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen Sinn und Erfolg: Sinn muss nicht messbar sein – ganz im Gegensatz zu Erfolg. Denk noch mal an den/die Magier*in. Wenn diese*r Sinnhaftigkeit aus einem magischen Ritual ziehen würde, von dem er/sie glaubt, dass es vielen Menschen das Leben gerettet hat, würden wir damit kein Problem haben. Ganz gleich, ob wir es als erfolgreich ansehen würden oder nicht. Wir würden dann wahrscheinlich sagen: „Ich glaube nicht, dass er/sie einen erfolgreichen Zauber gewirkt hat, der vielen Menschen das Leben gerettet hat. Aber ich glaube sehr wohl, dass dieses mutmaßliche Wirken des Zaubers ihm/ihr Sinn verschafft.“ Der Sinn ist also eine innerliche (intrapsychische) Sache. Wir können sagen: Der Sinn ist etwas Privates.
Überleg dir also jetzt in einem zweiten Schritt: Wodurch erlebe ich mich im Berufsleben als selbstwirksam? Und damit: Welche Tätigkeit gibt mir Sinn? Notier das nun über der Ecke „Sinn“ des Dreiecks und geh zur letzten Ecke, der Nachhaltigkeit.
[3] Ich bezieh mich hier auf den Begriff des wahren Selbst wie er bei Karen Horney in Neurose und menschliches Wachstum beschrieben wird.
Nachhaltigkeit, aber ohne Elektro
Bei Nachhaltigkeit denken wir in Zeiten globaler Erwärmung und erschöpfter Ressourcen vielleicht zuerst an ressourcenschonende Produktion, an Umweltschutz und Cradle-to-cradle-Ansätze – und tatsächlich hat diese Nachhaltigkeit auch etwas mit der Nachhaltigkeit zu tun, die ich hier meine. Nämlich das Rücksichtnehmen auf endliche Ressourcen.
Denn mit Nachhaltigkeit meine ich ein Prinzip, welches ich auf mein Handeln und auf meine Arbeit anwenden kann. Dieses Prinzip fragt danach, wie ich in Bezug auf meine Arbeit mit meinen inneren und äußeren Ressourcen umgehe. Einfach formuliert stelle ich mir die Frage: Wie lange kann ich in der Art und Weise, wie ich meine Arbeit ausübe, noch weitermachen?
Diese Frage kann sich auf eine ganze Reihe von Sachverhalten beziehen. Denk zum Beispiel mal an den/die Lehrer*in, der/die total perfektionistisch jede Stunde vorbereitet und deswegen bei einem Deputat von 41 Stunden regelmäßig 80 Stunden die Woche arbeitet. Oder denk an den/die Friseur*in, der/die seine/ihre Arbeit gerne mag, auch keine Überstunden machen muss, aber so wenig verdient, dass er/sie die wenigen Ersparnisse aus einem Erbe langsam, aber sicher aufbraucht, um die Miete zahlen zu können. Denk an den/die Altenpfleger*in, der/die seine/ihre Arbeit gerne macht, auch das Glück hat, in einem privaten Pflegeheim zu arbeiten, das gut bezahlt, den/die aber die körperlich harte Arbeit so belastet, dass er/sie zunehmend Rückenprobleme bekommt und weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Bandscheibe nicht mehr mitmacht. All diese hypothetischen Menschen haben eines gemeinsam: Ihre Arbeit braucht irgendeine Ressource auf, die endlich, also begrenzt, ist. Sie wissen, dass sie ihrer Arbeit nicht langfristig nachgehen können. Sie leben also in Bezug auf ihre Arbeit nicht nachhaltig. Das führt dazu, dass sie ihre Arbeit früher aufgeben müssen, als sie das machen würden, wenn sie mehr von der endlichen Ressource zur Verfügung hätten oder – und das ist entscheidend – schonender damit umgehen würden.
Überleg dir an dieser Stelle, wie du es mit der Nachhaltigkeit hältst? Wie lange willst du arbeiten und welche Ressourcen brauchst du dafür? Wie viel Geld? Wie wenig Stress? Wie viel Urlaub? Wie gesund musst du sein? Wie weit kannst du pendeln? Wie viel Lärm kannst du ertragen? Wie viel musst du schlafen? Usw. usf. Schreib diese Nachhaltigkeitsanforderungen neben die rechte Ecke des Dreiecks.
Zufrieden bin ich dann, wenn ich es schaffe, die drei Aspekte im Gleichgewicht zu halten.
Skylla und Charybdis waren wenigstens nur zwei ...
Da wir jetzt eine Definition der drei Ecken unseres Dreiecks haben, können wir genauer verstehen, wie das mit der Zufriedenheit funktioniert – oder eben nicht funktioniert. Zufrieden bin ich dann, wenn ich es schaffe, die drei Aspekte im Gleichgewicht zu halten. Die drei Ecken wirken dabei wie Gummibänder, die mich in ihre Richtung ziehen. Je weiter ich mich von einem entferne, desto stärker die Anziehungskraft – weil sich das Gummiband stärker dehnen muss. Unzufriedenheit im Berufsleben entspringt jetzt aus einem Ungleichgewicht innerhalb dieses Dreiecks. Ich sollte meine Entscheidungen immer so treffen, dass ich entweder das Gleichgewicht erhalte oder Gleichgewicht (wieder-)herstelle.
Wenn ich also z. B. zu dem Schluss komme, dass Erfolg und Sinn in meinem Arbeitsleben sehr stark ausgeprägt sind, aber die Nachhaltigkeit nicht gegeben ist, dann werde ich tagtäglich mit einem größeren Unbehagen in die Zukunft schauen. Denn irgendwo in mir drin weiß ich, dass ich diese Art des Arbeitens nicht mehr lange aufrechterhalten kann. So werde ich von Tag zu Tag unzufriedener . Bis ich am Ende ein ausgebrannter Mensch bin – egal, wie stolz ich auf meinen Erfolg bin und fühle, dass ich durch meine Arbeit die Wirkung in der Welt erziele, die ich erzielen will. In diesem Fall müsste ich eben mehr Nachhaltigkeit in mein Leben bringen (indem ich z. B. weniger arbeite).
Machen wir es noch etwas konkreter: Schauen wir uns die Schreinerin von vorhin an. Nehmen wir an, sie definiert als Erfolg, dass sie ein gutes Gehalt bekommt, um viel reisen zu gehen. Dieses Gehalt bekommt sie auch. Weiterhin nehmen wir an, dass ihre Arbeit nachhaltig ist, denn in ihrem Betrieb gibt es genug Pausen, nette Kolleg*innen, der/die Chef*in ist empathisch und offen und er/sie arbeitet eben so viel, dass sie den Job gesund bis zur Rente machen kann und dann eine gute Rente hat. Sie ist also im Dreieck stark auf der Seite von Erfolg und Nachhaltigkeit.
Das „Problem“ an der Sache ist ihr Traum, ökologische Möbel für die Schifffahrt zu bauen. Ohne diesen Aspekt in ihrer Arbeit spürt sie keine Selbstwirksamkeit. Sie hat nicht das Gefühl, dass die Arbeit Ausdruck ihres wahren Selbst ist. So wird sie in ihrem Berufsleben zwar gesund, wenig gestresst und auch durch die Reisen befriedigt sein. Aber im Laufe der Zeit wird es ihr vielleicht immer häufiger passieren, dass sie die Reisen gar nicht genießen kann. Möglicherweise wird sie ihre Gesundheit nicht mehr als ein Geschenk erleben, für welches sie dankbar ist, sondern eher noch als eine Last. Vielleicht denkt sie: „Wenn ich wenigstens kränklich wäre, dann hätte ich eine Ausrede, meinem Traum nicht zu folgen ... aber so ...“
Am Ende wird sie vielleicht sogar anfangen, die schönen Zustände in ihrem Leben als Last zu empfinden. Wird eine Schuld sich selbst gegenüber empfinden, weil sie nicht das tut, was für sie sinnstiftend wäre. Dem kann sie nur entgegenwirken, indem sie mehr Sinn in ihr Leben bringt (indem sie z. B. anfängt, etwas weniger zu reisen und in einer kleinen Werkstatt ökologische Möbel für Segelboote in ihrer Gegend zu entwerfen und zu bauen). Sie wird dann Stück für Stück mehr Sinn in ihrem Leben empfinden, was ihrer Zufriedenheit zuträglich sein wird.
Was an diesem Beispiel hoffentlich klar wird, ist, dass sich jeder Mensch – egal, ob arm, reich, dick, dünn, männlich, weiblich oder alles was zwischen diesen Spektren und unzähligen anderen Spektren liegen mag – in dem beschriebenen Dreieck ansiedeln kann. Achtsam dafür sein kann, wo er im Spannungsfeld der drei Ecken des Dreiecks liegt. In sich hören kann, um zu sagen, wie ausgeprägt seine Zufriedenheit oder Unzufriedenheit ist. Versuchen kann, die weniger ausgeprägte(n) Ecke(n) zu stärken und dadurch mehr Zufriedenheit in sein Arbeitsleben zu bringen.
Immer wenn du versuchst, eine weniger ausgeprägte Ecke des Dreiecks zu stärken, wirst du dich von den beiden anderen entfernen.
Es könnt’ alles so einfach sein ... Is’ es aber nicht
Eine letzte Sache gibt es aber noch. Natürlich wäre es zu einfach, wenn es so einfach wäre. Denn es gibt einen merkwürdigen Effekt. Immer wenn du versuchst, eine weniger ausgeprägte Ecke des Dreiecks zu stärken, wirst du dich von den beiden anderen entfernen. So wird unsere Schreinerin weniger reisen können (Erfolg), was bei der Arbeit wieder zu mehr Stress führt (Nachhaltigkeit), weil sie weniger Ausgleich durch die Reisen hat. Das kann temporär zu einer noch größeren Unzufriedenheit als davor führen. Ich glaube übrigens, das ist der Hauptgrund, warum Menschen oft in ihrer Unzufriedenheit verharren und Veränderungen abwehren: Die Veränderung fühlt sich oft am Anfang wie eine Verschlechterung an.
Denk noch mal nach, was ich über das Dreieck gesagt habe. Jede Ecke ist wie ein Gummiband, welches dich anzieht. Schau dir kurz mal dieses Schaubild an:
Ich will dich hier nicht mit Mathematik nerven, daher wirst du mir einfach glauben müssen, wenn ich sage: Genau dann, wenn du eine gleichmäßige Entfernung zu allen Ecken hast (hier A, B und C), findest du den sog. Schwerpunkt des Dreiecks. Das ist der Punkt, an dem die Summe der Entfernungen zu den Ecken am geringsten ist.
Na ja, denk noch mal an die Gummibänder in den Ecken. Diese Bänder üben eine Kraft auf dich aus. Die Ecken mit Erfolg, Sinn und Nachhaltigkeit „ziehen“ gewissermaßen an dir. Die Kraft, mit der sie an dir ziehen, wird umso größer, je größer die Entfernung zu ihnen ist. Immer dann, wenn du dich einer Ecke annäherst, wird die Entfernung zu den beiden anderen größer und die „Gummibänder“ ziehen stärker an dir. Du musst also immer mehr Kraft aufwenden, um den Abstand zu den beiden anderen Ecken aufrechtzuerhalten. Kraft meint hier eine psychische Anstrengung, die du aufbringen musst, um weiterhin funktionieren zu können. [4] Diese Anstrengung ist aber nur bis zu einem bestimmten Punkt zu leisten. Danach entstehen psychische Probleme wie Depressionen, Suchterkrankungen, zwanghaftes Verhalten, Burn-out etc.
Denk noch mal an das Beispiel der Schreinerin:
In dem Moment, in dem sie weniger reist, um in der freigewordenen Zeit und mit dem verfügbaren Geld ökologische Schifffahrtsmöbel zu bauen, wird sie merken, dass sie bei der Arbeit gestresster ist (weniger Nachhaltigkeit) und sich in ihrem Beruf auch noch weniger erfolgreich fühlen (denn „Erfolg“ war ja für sie das Ziel, viel reisen zu können). Dieser Sachverhalt wird sie mehr schmerzen, als die hinzugewonnene Sinnhaftigkeit ausgleichen kann.
Aber warum ist das so?
Die Antwort ist theoretisch so einfach, wie sie im Einzelfall komplex ist:
Weil die menschliche Psyche keine einfache mechanische Maschine ist, sondern ein komplexes System mit Anpassungs- und Regulationsmechanismen, hat sich unsere Schreinerin längst an die Abwesenheit von Sinn gewöhnt. Sie kennt die Kraft, die sie aufbringen muss, um die Sinnlosigkeit ihres Berufs auszuhalten.
Es könnte zum Beispiel sein, dass sie als Abwehrmechanismus einen ungesunden Alkoholkonsum aufgenommen hat, der sich aber aufgrund ihres jungen Alters noch nicht körperlich und psychisch bemerkbar macht und ihr daher unbewusst ist. Wenn sie jetzt plötzlich fühlt, dass sie Kraft aufwenden muss, um mit weniger Erfolg und weniger Nachhaltigkeit umzugehen, so wird es sich anfühlen, als ob ihre Gesamtsituation schlechter geworden ist.
Wahr ist aber auch, dass der Schwerpunkt S (schau dir noch mal die Grafik an) der Punkt ist, an dem wir im optimalen Gleichgewicht zwischen Sinn, Erfolg und Nachhaltigkeit sind. Es ist der Punkt, bei dem wir insgesamt am wenigsten Kraft aufwenden müssen, um uns zu halten.
Zufriedenheit findet sich in der Akzeptanz des Widerspruchs.
Das bedeutet in unserem Beispiel der Schreinerin Folgendes:
Nach einigen Wochen oder Monaten wird sie z. B. eines Abends ein ökologisches Möbelstück für einen Kunden und sein Segelboot fertigstellen. Sie geht nach Hause, macht wie gewohnt die Weinflasche mit dem schönen Riesling auf und beginnt, ein Glas einzuschenken. Plötzlich merkt sie, dass sie sich so erfüllt und innerlich ruhig fühlt, dass sie keinen Wein trinken möchte. Sie legt sich ins Bett und denkt an das Möbelstück, seinen neuen Platz auf dem Boot, die vielen Seemeilen, die es mit dem Boot reisen wird, das CO2, welches sie eingespart hat, die Freude, die ihr Kunde empfinden wird, wenn sie es liefert, und den Stolz, den sie empfindet, dass sie es liefern kann. Auf einmal merkt sie, dass sie am Morgen aufwacht und einfach so eingeschlafen ist. Etwas, was sie sonst oft unter der Woche und wenn der Urlaub länger her war, nicht ohne ein, zwei Gläser Wein schaffte. [5]
Dieses Beispiel soll Mut zur Veränderung machen! Denn die anfänglich gespürte Verschlechterung wird bald einer deutlichen Verbesserung der Zufriedenheit weichen. In unserem Beispiel hat es nicht lange gedauert, bis die neue Sinnhaftigkeit, die unsere Schreinerin durch ihren ökologischen Schifffahrtsmöbelbaum erlebt, zu einer neuen aufgehobenen (im hegelianischen Sinne) Zufriedenheit führen wird. Diese aufgehobene Zufriedenheit liegt im Schwerpunkt des Kräftedreiecks. Sie liegt dort, wo wir es schaffen, die beruflichen Grundbedürfnisse von Erfolg, Sinn und Nachhaltigkeit genau im Gleichgewicht zu halten. Wo wir die gleichmäßige Anziehungskraft von jeder Ecke des Dreiecks spüren und das geringste Maß an psychischer Kraft aufwenden müssen, um Negatives abzuwehren und zu verdrängen.
Ein Prozess, den wir natürlich regelmäßig überprüfen müssen, denn es ändern sich laufend die Bedingungen der Welt um uns herum und auch die Bedingungen unserer Innenwelt. Du wirst also nicht nur ein einziges Mal schauen, welches Gleichgewicht passt und das dann 40 Jahre durchziehen können. Im Gegenteil: Immer wenn du eine aufgehobene Zufriedenheit erreicht hast, wird sich diese früher oder später wieder verändern. Aus dieser Tatsache folgt meiner Ansicht nach übrigens eine der wenigen großen Wahrheiten des Menschseins: Zufriedenheit findet sich in der Akzeptanz des Widerspruchs. Sie liegt im stetigen Ausbalancieren der verschiedenen Anziehungskräfte von Erfolg, Sinn und Nachhaltigkeit und der Erkenntnis, dass jedes Ausbalancieren dem vorherigen Prozess des Ausbalancierens widerspricht und diesen aufhebt ... Immer und immer wieder ... bis wir aufhören müssen, dieses Spiel zu spielen, sprich: gestorben sind! Probier es einfach mal aus. Wenn es nicht funktioniert, hast du ein bisschen Zeit verloren. Wenn es aber klappt, dann hast du etwas hinzugewonnen, was als das höchste Gute bewertet werden kann: Lebensqualität und berufliche Zufriedenheit.
[4] In der psychodynamischen Tradition der Psychoanalyse wäre die hier angesprochene Kraft nichts anderes als die seelische Energie, die du aufbringen musst, um das Negative zu verdrängen.
[5] Natürlich ist das nur ein Beispiel. Eine Verbesserung kann sich auf tausenden verschiedenen Wegen ergeben.
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