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AutorenbildEmanuel Grammenos

Essay: Start-up - Willst du mein Freund sein?

Aktualisiert: 4. Dez. 2019

Wie die Kommerzialisierung der Freundschaft in modernen Unternehmen ein zufriedenes Leben bedroht.

Ich erinnere mich an eine merkwürdige Situation vor einigen Jahren. Ich war das erste Mal auf einer Facebook-Marketing-Konferenz in Berlin. Das Schild auf meiner Brust kennzeichnete mich als Marketing-Manager eines hippen Musiklabels und ich war stolz darauf. Da ich vorher noch nie auf einer ähnlichen Veranstaltung gewesen war, tat ich das, was ich stets mache, wenn ich unsicher bin: Ich suchte Verbündete. Also setzte ich mich in eine der lässigen Sitzecken, in denen vereinzelte und ebenso unsicher aussehende Menschen wie ich saßen. Ich kam ins Gespräch mit drei Frauen, die alle bei derselben Agentur arbeiteten und zusammen auf die Konferenz gekommen waren. Alle wirkten froh, dass sie nun ‚netzwerkten‘, und man redete natürlich über die Arbeit. Ich erinnere mich an die Aussage einer Marketing-Managerin über ihre Arbeitszeiten. Sie war seit drei Jahren in einer jungen – und ebenfalls hippen – Agentur angestellt und erzählte, wie sie oft am Wochenende und auch noch nachts kurz E-Mails beantworten würde. Die anderen nickten im Einklang und erzählten von ihren Nacht- und Wochenendschichten. Was mich an der ganzen Situation verwirrte, war die Tatsache, dass alle von ihren Sonderschichten so erzählten, als sei es etwas ganz Besonderes, dass sie diese einlegen dürften. Eine der Frauen erzählte, dass sie am Wochenende mit ihrem Freund in einem schönen Wellnesshotel gewesen sei und nebenher immer wieder Mails beantwortet habe. Als ich sie fragte, ob sie das nicht gestört habe, schaute sie mich verwundert und etwas ungläubig an. Ich fragte weiter in die Runde, ob keine der Anwesenden es nervig fände, am Wochenende zu arbeiten, in der Nacht, im Urlaub und wenn sie gerade Zeit mit Familie, Freunden und geliebten Menschen verbringen würden. Stille. Unangenehme Stille.

Die Wellness-Marketing-Managerin ergriff das Wort und erklärte mir, dass es dazu gehöre, in unserem Job. Dass sie Verantwortung trage, in ihrem Job. Dass die Extra-Meile etwas sei, was man gerne gehe. Die anderen stimmten ein. „Außerdem“, sagte sie, „bin ich froh, dass ich einen Platz gefunden habe, an dem ich Arbeit und Freundschaft zusammenbringen kann. Wir sind alle super Freundinnen. Marie arbeitet erst seit drei Monaten bei uns und ist schon vom ersten Tag an mit uns um die Häuser gezogen.“ Die anderen stimmten mit heftigem Nicken zu. Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, wie das Gespräch ab diesem Punkt verlief. Ob sich die Gruppe von Marketing-Spezialistinnen recht schnell von mir distanzierte, als ich widersprach, und fortan den Rest des Tages in ihrer Schwesternschaft die Konferenz absolvierte – jede einzelne Meile – oder nicht. Die Begegnung blieb mir aber im Gedächtnis und war sozusagen eine Art Grundton meines weiteren Arbeitslebens. Mir begegneten unzählige Menschen mit ähnlichen Einstellungen und Meinungen und nun – ca. dreieinhalb Jahre später – ist mir Stück für Stück klar geworden, was der Hintergrund dieser ‚Arbeitsmoral‘ ist.


Kollegialität ist nicht Freundschaft


Zentral ist wohl der Zusammenhang zwischen den langen Arbeitszeiten, dem Stress, der Bezahlung und der Aussage über das Zusammenbringen von Arbeit und Freundschaft. Denke ich über die letzten Jahre in der Musikbranche nach, so fällt mir – ebenso wie den drei Agentur-Ladys – als Erstes auf, wie gerne ich meine Kollegen habe. Wenn mich jemand fragt, wie es bei mir im Unternehmen ist, so erzähle ich immer die Anekdote: „In den meisten Firmen mit 20 Mitarbeitern mag ich zwei und die restlichen 18 mag ich nicht so. Hier ist es genau umgekehrt. Ich mag 18 Kollegen sehr gerne und bei zweien denke ich ‚Geht so‘“.

Die Menschen sind dann immer extrem zufrieden mit der Antwort und gerade in Vorstellungsgesprächen merke ich, wie viele Bewerber diesen Satz als Bestätigung dafür sehen, was sie schon immer wussten: die Musikbranche, das Start-up, die flachen Hierarchien – das ist das Richtige. Hier sind wir alle Freunde. Hier bin ich Mensch, hier will ich arbeiten.

Doch der Schein kann trügen. Ein Studienfreund von mir sagte immer, die wichtigste Frage, die wir in kritischer Absicht zu stellen haben, sei die Frage: „Ist das so?“. Die Frage lautet hier also: Ist es so, dass die Start-ups, die flachen Hierarchien – kurz: die neue Arbeitskultur – menschlicher sind? Ist es so, dass sie ein Resultat eines freundschaftlichen Umgangs sind? Heute ist mir klar: Es ist nicht so! Der Hintergrund der scheinbar freundschaftlichen Unternehmenskultur ist eine zutiefst problematische Mechanik der menschlichen Beziehungen. Es ist die Kommerzialisierung der Institution der Freundschaft. Schaut man bei einem Denker wie Axel Honneth, so ist die Freundschaft unter Rückgriff auf Hegel bei ihm eine eminent wichtige Institution des Bei-sich-selbst-Seins im anderen. Mit anderen Worten: Freunde spiegeln mich in einer Art in ihrem eigenen Wesen wider, durch die ich mich erst wirklich selbst erkennen kann. Das klingt etwas pathetisch, trifft aber voll und ganz zu. Denkt man an wirklich gute Freunde, so fällt einem schnell auf, dass wichtige (Selbst-)Erkenntnis oft im Spiegel ihrer Reaktionen, ihrer Handlungen oder Erwiderungen entsteht. Diese Reaktionen, Handlungen und Erwiderungen sind genuine (wahrhafte) Verhaltensweisen ebenjener speziellen Person in Bezug auf mich als spezielle Person. Grundlage dieser Freundschaften ist nichts Geringeres als die Zuneigung (Liebe) und das Interesse an der anderen Person.

Die Arbeitswelt der Start-ups und der hippen Jungunternehmen kultiviert nun aber einen ganz anderen Freundschaftsbegriff. Hier ist man Freund erst einmal dadurch, dass man dabei ist. Man erinnere sich an die Aussagen der Marketing-Managerin über Marie, die erst seit drei Monaten bei „uns“ arbeite und dennoch schon mit um die Häuser ziehen dürfe. Das ist ein bisschen so, als würde man mit einem kleinen Kind im Sandkasten spielen und das Kind würde dann nach wenigen Minuten erklären, man sei nun sein Freund. Das ist in der Situation herzerweichend süß, aber es würde wohl keiner annehmen, dass dieses Kind die Tragweite einer erwachsenen Freundschaft überblicke, und in der Folge annehmen, auf das Kind könne er oder sie sich verlassen.

Genau das passiert aber täglich in der neuen Arbeitswelt. Dabeisein ist erst einmal alles: Man freut sich, wenn die Kollegen einen fragen, ob man abends mit in die Szenebar kommt. Man freut sich über das gemeinsame Tanzengehen, trinkt Bruderschaft und/oder Schwesternschaft, freut sich über die Anwesenheit des coolen Chefs und seine Lockerheit und am nächsten Morgen freut man sich sogar über den Kater und die Tatsache, dass alle im Büro diesen teilen. „Dann gehen wir es halt ein bisschen langsamer an heute, wir haben ja schließlich das ganze Wochenende“, sagt der ebenso verkaterte Chef. Schnell ist man in einer Gruppe junger Menschen, die man stets um sich hat. Man hat immer etwas zu besprechen. Kennt die Sorgen und Probleme der anderen und nimmt Anteil an den Trennungen und menschlichen Verwerfungen, die – merkwürdigerweise – meist außerhalb dieses Kosmos passieren.

Doch es gibt einen fundamentalen Irrtum in all diesem ‚freundschaftlichen‘ Umgang. Denn all die Menschen, die hier scheinbar Freunde sind, dienen einem Zweck. Sie sind da, um gewinnoptimierend zu arbeiten. Der Nährboden dieses Umgangs ist der Gewinn des Unternehmens, ist die Leistung, die einmal der Einzelne und dann das Kollektiv erbringen. Ist diese Leistung gut, profitiert der Geschäftsführer oder ggf. die Aktionäre. Ist diese Leistung schlecht, leidet der Einzelne. Denn wenn die Leistung nicht passt, wird man schnell feststellen, wie das Furnier des freundschaftlichen Tons und eines freigiebigen Chefs abblättern. Die Abende in den Bars werden plötzlich einsamer, da jeder sein Projekt stemmen muss, die Gespräche werden weniger lustig und zielführender geführt und hin und wieder wird der eine oder die andere vielleicht gar nicht mehr dabei sein. Burn-out nennen wir das dann heute.


Leistung und Liebe


Aber was genau brennt denn da aus? Wer sich mit dem Thema beschäftigt, merkt schnell, dass Fachleute in Gestalt von Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern nicht wirklich glücklich mit dem Begriff des Burn-outs sind. Der Begriff sei „‚Verwirrung stiftend, irreführend und längerfristig stigmaverstärkend‘, klagt Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe“ (siehe hier)

"Verwirrung stiftend, irreführend und längerfristig stigmaverstärkend"

Häufig ist das Burn-out ein Modewort, welches verdeckt, dass ein Mensch in eine Depression abgerutscht ist. Diese Depressionen oder – falls zeitlich unter zwei Wochen – diese depressiven Verstimmungen sind leicht verständlich, wenn man das bisher Gesagte ernst nimmt: Wir befinden uns alltäglich in Beziehungen, die wir als freundschaftlich ansehen, die aber letztendlich ökonomische Leistungsgemeinschaften sind. Die Basis für die Freundschaften zu meinen Kollegen ist nicht das Interesse an ihnen als Personen, sondern die Tatsache, dass wir im gleichen Unternehmen arbeiten. Die Kultur des lockeren Umgangs, der flachen Hierarchien, der gemeinsamen Freizeitgestaltung, ja genauer eigentlich der gemeinsamen Nivellierung von Freizeit in eine immerwährende ‚Freizeitarbeit‘ führt zu nichts Geringerem als einer tiefgreifenden Krise einer der wichtigsten Institutionen, die wir als Menschen haben: der wahren Freundschaft. Plötzlich basiert diese nicht mehr auf der Zuneigung und der Liebe (hier als Philia, nicht als Eros oder Agape), sondern auf der Leistung, die der Einzelne für das Kollektiv erbringt, wogegen das Kollektiv wiederum eine Leistung für die Aktionäre, Anteilseigner oder einen an der Spitze sitzenden Einzelnen erbringt, der diese Leistung in Form von Gewinn abschöpft. Ganz gleich, wie flach die Hierarchie ist, es gibt immer ein Oben und ein Unten – und in den meisten Fällen steht oben eben einer, der die Gewinne erhält, die das Kollektiv erwirtschaftet. Nun ist diese Tatsache nichts Neues. Was dagegen neu ist, ist die zunehmende Blindheit für diesen Sachverhalt und die damit einhergehende Bereitschaft, sich ausbeuten zu lassen.

Es ist eine Beobachtung von mir, dass die Bereitschaft für diese Art von Ausbeutung in meiner Generation (der sog. ‚Generation Y‘) massiv gestiegen ist – entgegen den vielen Aussagen, nach denen wir von unserem Arbeitgeber mehr fordern würden. So bin ich der Meinung, die Forderung nach einer besseren Work-Life-Balance ist überhaupt erst dann notwendig, wenn man in die Verlegenheit kommt, Freizeit und Arbeitszeit gar nicht mehr unterscheiden zu können. Ein Problem, welches ich bei meinen Eltern z. B. nicht gesehen habe. Diese haben viel gearbeitet, aber es war stets klar, was Arbeit ist und was nicht. Erreichbarkeit war schon technisch gesehen gar nicht möglich. Samstags auf der Wanderung gab es keine Möglichkeit, meinen Vater zu erreichen. Somit war klar definiert: Dieser Zeitraum ist Freizeit. Diese Unterscheidung zu treffen, scheint immer schwerer zu fallen. Ich glaube, das liegt – neben den technischen Möglichkeiten – an einer grundsätzlich anderen Einstellung zur Arbeit, die meine Generation kennzeichnet (was hier was bewirkt, wäre Frage eines eigenen Artikels).

In den Gesprächen mit Menschen meines Alters bin ich immer wieder auf zwei Gemeinsamkeiten gestoßen. Zum einen den Wunsch, „etwas zu bewegen“, und zum anderen die Erfahrung in der eigenen Familie, dass Liebe durch Leistung verdient werden muss. Ich weiß nicht, ob es ein Zeichen einer Generation sein kann, dass sie gelernt hat, dass Liebe, Bestätigung und Zugehörigkeit nur durch Leistung erworben werden können, aber wenn dem so ist, dann bin ich überzeugt, dass dies das Zeichen der sog. ‚Generation Y‘ ist. In der Kombination mit dem Wunsch, „etwas zu bewegen“ („to make a difference“, „to have an impact“), ist dies die perfekte Disposition, um von einem kapitalgesteuerten System oder einer bestimmten Art von Menschen vor den Wagen ihres (persönlichen) Erfolges gespannt zu werden – und im gleichen Atemzug alle Privatheit in das Unternehmen zu überführen. Der optimale Chef eines Generation-Y-Start-ups ist jung, leger, extrovertiert, redet gerne und viel von dem Erfolg und dem, „was wir gemeinsam erreichen“, und benutzt oft das Wort „großartig“. Seine charismatische Begeisterung für den Erfolg des Unternehmens ist ansteckend. Dabei ist es ganz gleich, ob dieser Erfolg real oder fantasiert ist. Dieser Chef ist oft dabei, wenn es in den Klub geht, und zahlt gerne mit der Firmenkreditkarte die alkoholischen Getränke seiner Mitarbeiter. Es ist schon fast grotesk, wie viele junge Menschen ihr Arbeitsleben singend und lachend in solchen Unternehmen beginnen und wie wir aktuell beobachten können, dass große Unternehmen wie z. B. Daimler versuchen, diese Kultur in ihre eigene Firmenkultur zu integrieren. Letztendlich macht das aber unglaublich viel Sinn: Überführen viele junge Menschen doch ihr gesamtes soziales Kapital in diese Firmen – selbstverständlich freiwillig und vollkommen kostenlos. Ein Traum für jeden Unternehmer: motivierte Mitarbeiter, die freiwillig ihre Beziehungen innerhalb des Unternehmens ansiedeln. Ein besseres Mittel der Kontrolle gibt es nicht. Plötzlich ist das Ausscheiden aus dem Unternehmen nicht mehr nur ein finanzieller Einschnitt, sondern auch der Ausschluss aus dem Freundeskreis, sprich der Verlust des Zugehörigkeitsgefühls. Wer würde das freiwillig in Kauf nehmen? Da arbeitet man lieber mehr und mehr und es obliegt unserer Psyche, irgendwann die Reißleine zu ziehen – et voilà: Hier ist die Erklärung des sog. Burn-outs.


(Don't) Be Awsome


Es bleibt die Frage, was die Zukunft bringt. Sehen wir einer Entwicklung entgegen, in der Menschen weitestgehend ihre wichtigsten Ressourcen wie Zeit, Gesundheit, Mitgefühl und Hoffnung in ein Unternehmen investieren, unter dem Irrglauben, sie würden all das für ihre Freunde tun? Wird die Selbstausbeutung zu einem Charakterzug, den alle Menschen aufweisen, die arbeiten wollen? Ich glaube ganz entschieden: Nein! Die Menschen um mich herum sind zunehmend skeptisch gegenüber lockeren Arbeitsumfeldern. Freunde gehen in klassische Unternehmen, verlassen die Start-up- und Medienbranche und trennen Privatleben und Arbeitsleben oft in drastischer Weise. Immer häufiger begegne ich in der Freizeit Menschen, die regelrecht genervt sind, wenn ihnen die Frage gestellt wird: „Und? Was machst du?“. Der Hintergrund ist vielleicht oft die Erkenntnis, dass das, was ich beruflich mache, mich nicht hauptsächlich ausmacht. Die Erkenntnis, dass ich in meiner Freizeit nicht darüber sprechen möchte, was ich während meiner Arbeitszeit mache, sondern über Dinge sprechen möchte, die mich privat ausmachen. Über Hobbys, über Filme, Bücher, Sport oder zur Abwechslung mal über meine Gefühle, politische Ansichten, Sorgen und Hoffnungen. Das ist nicht wirklich großartig, es ist nicht die Goldene Schallplatte, das zehnterfolgreichste Start-up in Berlin, der internationale Innovationsaward oder die Forbes-Liste der mächtigsten Menschen, aber es ist vielleicht der Anfang einer Freundschaft zu einem Menschen, der mich mag, weil er mich interessant findet. Ganz unabhängig davon, was ich während meiner Arbeitszeit mache. Es ist vielleicht der Beginn einer Beziehung, in der wir Zeit verbringen, ohne irgendetwas leisten zu müssen. In der wir uns geliebt und angenommen fühlen, einfach dafür, dass wir da sind. Und das ist nichts Geringeres als ein Garant für ein zufriedenes Leben.

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